Trotz jahrelanger Bemühungen bleibt der Fortschritt bei der Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten auf Pflegefachpersonen immer noch aus. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland hier weit zurück. Hindernisse liegen in gesetzlichen Beschränkungen und formal dysfunktionalen Vorgaben und unzureichender Anerkennung bestehender Qualifikationen, die auf obsoleten Vorstellungen vom Pflegeberuf, aber auch der unsachlichen Verwechslung  bzw. Vermischung von Alten- und Angehörigenpflege und hochkomplexer Fachkrankenpflege oder Intensivpflege beruhen.

Mit einem Eckpunktepapier des BMG vom 19.12.2023 nimmt sich die Bundesregierung nun dieser Problematik an, um die Kompetenzen von gut aus- und weitergebildeten Pflegefachpersonen in den verschiedenen Bereichen der Frachkrankenpflege sowie auch der Altenpflege zu stärken. Der Fukus richtet sich hierbei primär nur auf Pflegekräfte mit akademischen Abschlüssen als Bachelor oder Master. Die grundsätzliche Denkrichtung ist aus Sicht der IGBP zu würdigen.

Eine Übertragung heilkundlicher Tätigkeiten an Pflegefachkräfte ist bereits seit dem PfWG 2008 Thema. Mit der Einführung der generalistischen Ausbildung konnte bisher in diesem Bereich kein Fortschritt erzielt werden, sondern im Gegenteil: es zeichnt sich mit der generalistischen Ausbildung mehr Breite als Tiefe ab, die dann einer fachkompetenteren Übernahme von mehr Verantwortung eher entgegensteht. Dies mag auch daran liegen, dass die erforderlichen Module durch die Fachkommission nach § 53 PflBG ohne berufsfeldbezogene Kompetenzorientierung eher praxisfern akademisch erscheinen. Ein Nachteil ist zudem, dass es dabei keine Regelungen zur Anerkennung von bereits erworbenen Qualifikationen und weitere akademische Anschlussfähigkeit gibt. Aber in dieser Gruppe dürften die meisten Pflegefachkräfte mit bedeutendem Erfahrungshintergrund sein, die, für einen Verbleib im berufsfeld motiviert werden müssen, ohne dass sie sich zur formalen Anerkennung erneuten, zeitintensiven Weiterbildungen im gleichen Bereich unterziehen müssen.

Selbst wenn Arbeitgeber trotz enger Dienstpläne die Weiterbildung unterstützen, bleibt es noch ein wesentliches Problem, dass das Weiterbildungswesen in Deutschland immer noch einem Wildwuchs unterworfen ist und sich Pflegekammern, Kostenträger oder Bildungsinstitutionen noch nicht auf eine übergeordnete Weiterbildungsordnung für Pflegeberufe, und zwar unterschieden nach verschiedenen Expertisen

  1. Fachkrankenpflege,
  2. a. Intensivpflege klinisch,
    b. Intensivpflege außerklinisch,
  3. pädiatrische Pflege,
  4. Altenpflege,

auf einheitliche Anerkennungen der Zusatzqualifikationen und der Bedingungen ihres Erwerbs verständigen konnten. Für ambitionierte Pflegefachkräfte gibt es somit keine geordnete Entwicklungsperspektive für eine berufliche Bildungsbiographie. Die IGBP fordert seit langem schon offizielle Weiterbildungsordnungen und akademische Akkreditierungsverfahren für Bildungsträger von Pflege-Weiterbildungen (siehe Berichte).

Der Gesetzgeber versucht nun sektoral auf die akademischen Pflegeeusbildungen beschränkt im Rahmen von PflStudStG sowie dem aktuell in Diskussion befindlichen Pflegekompetenzgesetz nachzusteuern und die Übernahme heilkundlicher Tätigkeiten somit zumindest für Bachelor- und Masterabsolventen voranzutreiben. Damit wäre eine Qualifizierung zum Ausüben von Heilkunde, anders als gewollt, nur über den akademischen Weg möglich.

Neben dieser grundsätzlichen Kritik nehmen wir seitens der IGBP zu drei Punkten des Eckpunktepapiers für das Pflegekompetenzgesetz Stellung. Darin heißt es in Punkt 6:

Wir wollen das Berufsbild der Advanced Practice Nurse (unter Einbeziehung der Community Health Nurse) nach internationalen Vorbildern etablieren und werden perspektivisch entsprechende Befugnisse in der Versorgung abhängig von den erworbenen Kompetenzen einführen.Für Pflegefachpersonen mit Berufsabschluss auf Master-Niveau, der zur eigenverantwortlichen und selbständigen Ausübung von Heilkunde befähigt, wollen wir künftig eine eigenständige Ausübung von Heilkunde in ärztlich oder pflegegeleiteten Einrichtungen (vergleichbar z. B. den Nurse Practitioners in den USA) ermöglichen.

Die IGBP unterstützt dieses Vorhaben, ein Berufsbild der Advanced Practice Nurse (APN) nach internationalem Vorbild zu etablieren. International wird nach den Kriterien des International Council of Nurses (2020) in Clinical Nurse Specialist und Nurse Practitioner unterschieden. Das Berufsbild der APN kann im deutschen Gesundheitswesen die Steuerung und Gestaltung von hochkomplexen Pflegesituationen übernehmen und auf evidenzbasierten Grundlagen Entscheidungen für notwendige pflegefachliche Interventionen übernehmen. Dies setzt allerdings voraus, dass entsprechende betriebsbezogene Anforderungsprofile (in Krankenhäusern, in Pflegeeinrichtungen, in ambulanten Pflegediensten, etc.) zu entwickeln und damit auch die heilkundlichen Befugnisse zu stärken und weiter auszubauen. Das Berufsbild APN ergänzt die bisherigen Qualifikationsstrukturen außerdem um den DQR 7 (Deutscher Qualifikationsrahmen) und leistet daher eine sinnvolle Ergänzung zu den bisherigen Skill-Grade-Mixes. Insgesamt ist ein einheitliches Bildungssystem in Deutschland zu erzielen, das das neue Berufsbild der APN auf Master-Niveau mit anderen europäischen bzw. internationalen Hochschul-Abschlüssen gleichsetzt.

Weiter formuliert Punkt 7:

Für Pflegefachpersonen mit APN-Master-Abschluss prüfen wir entsprechend der im Studium vermittelten Kompetenzen weitergehende Befugnisse im Rahmen der Verordnung von häuslicher Krankenpflege, von Hilfsmitteln und ggf. von bestimmten Arzneimitteln.

Die IGBP begrüßt eine weitergehende Prüfung der im Studium vermittelten Kompetenzen weitergehender Befugnisse im Rahmen der Verordnung von häuslicher Krankenpflege, von Hilfsmitteln und ggf. von bestimmten Arzneimitteln. Grundsätzlich werden APNs im Master-Studium dazu befähigt, mittels evidenzbasierter Erkenntnisse eigenständig Pflegediagnosen zu stellen und auf dieser Basis entsprechende Entscheidungen für pflegefachliche Interventionen zu treffen. Die Verordnung von häuslicher Krankenpflege wie auch (Pflege-) Hilfsmitteln oder gar Arzneimitteln ist heute schon Gegenstand vieler pflegefachlicher Interventionen und insbesondere, seit der gesetzlichen Einführung der Vorbehaltsaufgaben der Pflegefachpersonen gem. § 4 PflBG, auch Gegenstand der Steuerung und Gestaltung der Pflegeprozesse. Das Treffen von Entscheidungen durch Pflegefachpersonen in diesem Kontext ist auch heute schon Voraussetzung für die Verordnungspraxis durch den Arztberuf. Erweiterte Kompetenzen auf Basis evidenzbasierter und wissenschaftsorientierter Erkenntnisse befähigen APNs dazu, die eigenständig zu treffenden Entscheidungen zur Pflegeintervention mit eigenständiger Verordnung zu kombinieren. Diese Kompetenzen unterstützen demnach auch die Steuerung und Gestaltung des Pflegeprozesses und können die Interventionen am Menschen mit Pflegebedarf effektiver gestalten, da das konkrete Nachfragen bzw. Erbeten von Verordnungen durch den Arztberuf wegfällt und der Entscheidungsprozess dadurch schlanker werden kann.

Und schließlich Punkt 8:

Die Etablierung eines neuen Berufsbilds und entsprechender APN-Master-Studiengänge ist ein mehrstufiger Prozess. Die Länder können bereits jetzt APN-Studiengänge, die auf eine hochschulische Pflegeausbildung aufbauen, etablieren. Bis in Deutschland qualifizierte APN ihren Abschluss haben, gibt es einen mehrjährigen Vorlauf. Daher möchten wir in Deutschland primärqualifizierten Pflegefachpersonen, die die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen, ermöglichen,sich in den nächsten Jahren auch verstärkt im Ausland auf entsprechendem Master-Niveau zu qualifizieren, z. B. durch ein entsprechenden Stipendienprogramm.

Die IGBP unterstützt die Etablierung eines neuen Berufsbildes und damit verbunden entsprechender APN-Master-Studiengänge. Es erscheint vor dem Hintergrund der Empfehlungen des Wissenschaftsrates (2012), eine Akademisierungsquote von 20 % anzustreben, sinnvoll, primärqualifizierte Pflegefachpersonen zu unterstützen, sich im Zuge von Weiterqualifizierungen auf Master-Niveau auch im Ausland zu qualifizieren. Diese Möglichkeit der Auslands-Qualifizierung sollte in jedem Fall finanziell unterstützt werden. Stipendienprogramme sollten bereits im Bachelor-Studium angeboten werden, sofern eine Weiterqualifizierung angestrebt wird. Weiterhin würden wir einen Ausbau an Qualifizierungsmöglichkeiten für Hochschullehrer:innen begrüßen, um den zukünftig steigenden Bedarf, hochschulische Weiterqualifizierungen anzubieten, decken zu können. Wir unterstützen außerdem den Vorschlag des DPR, eine Fachkommission für das Pflegestudium (BA und MA-Abschlüsse) einzurichten, um mit Vertreter:innen von Hochschullehrenden und Mitgliedern pflegewissenschaftlicher Fachgesellschaften/ Pflegeberufsverbänden die zu erarbeitenden Musterstudienordnungen sowie Fachqualifikationsrahmen etc. etwa in Zusammenarbeit mit dem BIBB zu entwickeln.

Generell hat sich das Berufsverständnis für Pflegeberufe mit einerweitgehenden Deprofessionalisierung stark verändert:

  • Hierzu haben die schleichend eingeführten Einschränkungen von Kompetenzen und faktischen Zuständigkeiten von Pflegekräften in vielen praktischen Bereichen beigetragen;
  • ebenso wie die generalistische Ausbildung, sie seit 2020 ein einheitliches Berufsbild schaffen sollte, mit ihrer undifferenzierten Vermischung verschiedener Handlungsfelder (Altenpflege gemäß SGB XI, Fachkrankenpflege gemäß SGB V und besonders der Berücksichtigung der besonderen Bedingungen bei Kindern und Jugendlichen) spezifische Kompetenzen zurückgedrängt haben (eine wissenschaftliche Evaluierung steht noch aus, aber die ersten Absolventen der generealistischen Ausbildung bereiten insbesondere spezialisierten Abteilungen und Pflegediensten aufgrund mangelnden Fachwissens erhebliche Probleme);
  • und nicht zuletzt bedeutet der Trend, aufgrund des hohen Fachkräftemangels die Anforderungen immer niedriger zu setzen und mehr Pflegehelfer zum Stopfen personeller Lücken einsetzen zu können, natürlich eine Tendenz in die falsche Richtung.

Auf der anderen Seite wird durch gesetzliche Anpassungen und die Erweiterung von akademischen Wegen zur Pflegekompetenz: Damit geht die Schere der pflegerischen Qualifizierung immer weiter auf und führt natürlich zur Bildung sehr unterschiedlichen Kompetenzen, die ohne Äquivalent in den Berufsfeld- und Stellenbeschreibungen von Pflegefachpersonen in Krankenhäusern und Pflegediensten in deren Verhältnis im multiprofessionellen Team insbesondere mit Ärzten wirkungslos sein werden. Ob in der betrieblichen Praxis nun eine gesetzliche Regelung zur Pflegekompetenz ex cathedra mit ihren typischen Pauschalierungen dazu einen wirksamen Beitrag leisten kann, ist fraglich. Voraussehbar ist eher, dass es dann weniger um die Professionalisierung und Entwicklung eines Berufsstandes geht, als dass dies zum Vorwand für andere Probleme in der Finanzierung des Gesundheitswesens, planerischer Flexibilisierung o.ä. angesichts weiter schwindender Fachkräfte, immer häufigeren Abteilungsschließungen in Krankenhäusern und gefährlicher Pflege bei Pflegediensten verwendet wird.

Als Ziel muss daher weiter verfolgt werden:

  • Erweiterung der Ausbildung auf alle acht Module aus dem Curriculum der Fachkommission.
  • Berücksichtigung von Spezialisierungswissen für Fachkrankenpflege und Kinderkrankenpflege.
  • Erweiterung der Kompetenzen und Festlegung klarer Zuständigkeiten innerhalb der multiprofessionellen Zusammenarbeit in Krankenhäusern und Pflegediensten mit Verordnungskompetenz und erweiterter Delegation 

Deutlichen Klärungsbedarf gibt es bei der Verordnungskompetenz: anders als im Ecpunktepapier beschrieben, sollte es nicht nur eine Verordnungsempfehlung geben, sonhdern Pflegefachpersonen müssen in den vorgesehenen Bereichen und Kompetenzfeldern mit einer eigenständigen Verordnungskompetenz ausgestattet werden, inklusive der Übertragung des Budgets. Denn in der aktuellen Fassung könnte die Frage gestellt werden, ob es sich aktuell nicht eher um eine erweiterte Delegation anstatt einer substituierenden Übernahme Tätigkeiten der Heilkunde handelt. Das Gesetz ergibt nur Sinn, wenn Pflegefachpersonen entsprechend ihren Kompetenzen Handlungsfelder in die Gesamtverantwortung, im Sinne einer Substitution, übertragen werden.

Mit einer Verbesserung der Verordnungskompetenz und praktischen Umsetzung ist wegen des Ausbildungversatzes realistisch nicht vor 2029 flächendeckend mit heilkundlichen Arbeitenden der Heilkunde akademisierten Pflegefachpersonen zu rechnen. Daher ist es jetzt umso wichtiger für eine zeitnahe praktische Umsetzung, Lösungen im Bereich der Anerkennung von bereits vorhandenen Qualifikationen zu etablieren.

Mit Spannung ist daher auf die weitere Konkretisierung des Gesetzentwurfes zu warten.