Der bpa kündigt in seinem Newsletter Der Pflegedienst 1/2023 auf S. 9 an, dass er sich im „Qualitätsausschuss Pflege“, einem Gremium der Pflegeselbstverwaltung, das sich unter anderem mit Maßstäben und Grundsätzen zur Qualitätssicherung befasst, dafür eingesetzt habe, in einer Neufassung / Ergänzung des § 113 SGB XI die Weiterbildung zur PDL künftig vollständig in Online-Formaten durchzuführen und auf eine Präsenzpflicht der zu schulenden Personen vor Ort gänzlich zu verzichten. So eine Initiative sollte gestoppt oder im Sinne von differenzierteren Blended Learning-Lösungen mit Erhalt von praktischen Präsenzanteilen überarbeitet werden, um die Qualität von Weiterbildungen in Pflegeberufen nicht weiter erodieren zu lassen.
Konkret geht es zunächst nur um die Qualifikation von Pflegedienstleitungen PDL, deren Verantwortung und qualifizierter Ausbildung in zahlreichen Vorgaben des BMG, der GKV oder den Rahmenempfehlungen des G-BA große Bedeutung zugeschrieben wird. Hier ist eine Ausbildung mit 460 Stunden vorgeschrieben, von denen 20% oder mindestens 150 Stunden in Präsenz zu absolvieren sind. Zwar gibt es Fernlehrgänge mit geringerem Präsenzanteil, die jedoch in verschiedenen Bundesländern an praktischen Problemen für die Berufsanerkennung leiden. Aber auch die Regelung mit einem Selbstlernanteil von bis zu 80% entspricht keinen akademischen Weiterbildungsstandards und ist kaum geeignet, die gewünschte Qualifikation mit den notwendigen Kompetenzen zu erreichen. Hinzukommt, dass für die meist nicht akademisierte Zielgruppe der Pflegekräfte das selbstgesteuerte Lernen nicht so ausgeprägt vermittelt wurde, wie bei vergleichbar akademisch ausgebildeten Abschlüssen.
Obendrein kündigt nun der bpa an, für die verbleibende Präsenzpflicht mit der Neufassung / Ergänzung des § 113 SGB XI auch Online-Unterricht gleichzustellen. Faktisch wird dies einer Abschaffung des Präsenzunterrichts gleichkommen, weil Anbieter und Pflegedienste den Weg des geringsten Widerstands und der geringsten Kosten gehen werden. Auch von den 150 Mindeststunden ist keine Rede mehr, womit die 20 % von 460 Stunden nur noch 92 Stunden entsprechen. Eine Kompetenzprüfung der Anbieter ist nicht vorgesehen.
Damit wird die PDL-Weiterbildung praktisch gänzlich zur Farce und missachtet die Verantwortung, Aufgaben und Qualifikationsanforderungen an eine PDL restlos. Zugespitzt formuliert: eigentlich wird mit diesem Schritt die PDL-Weiterbildung durch externe Theorievermittler in ihrem akademischen Selbstverständnis degradiert. Anstelle dessen wäre es dann vielleicht zielführender sowie kostengünstiger, eine innerbetriebliche und praxisnahe Weiterbildung mit neutraler Abschlussprüfung z.B. bei einer Pflegekammer zu organisieren - ein Verfahren, das von IHK-Prüfungen für den Fachwirt bekannt ist.
Begründet wird diese Initiative des bpa, dass es während der Corona-Pandemie Anerkennungen von Fort- und Weiterbildungen, die in digitaler Form etwa als Online-Seminare oder E-Learning-Schulungen (Fernlehrgänge) durchgeführt wurden, durch Krankenkassen gab. Diese Genehmigungen kamen aber aus der Not der Pandemie heraus, deren Präventionsmaßnahmen im April 2023 als beendet erklärt wurden. Mit der aktuellen Gesetzesinitiative würden die Corona-Notfall-Ausnahmen zur Regel gemacht. Zweifellos haben sich digitale Weiterbildungsformate dadurch weiterentwickelt, aber es wurden auch deren Grenzen und Nachteile sehr gut deutlich.
Der Ablehnung der hier vom bpa vorgetragenen Initiative liegt kein altmodisches Bildungsmodell zugrunde, sondern eine differenzierte Betrachtung der Notwendigkeit zu unterschiedlichen Lehr- und Lernformen:
- In ausreichend vielen Studien sind die Grenzen der pädagogischen Eignung von Selbstlernphasen und vielen E-Learning-Tools im oft schwächeren Bildungserfolg, am praktischen Learning-Outcome und in der psychologischen Akzeptanz erwiesen – zumal es bei den Zielgruppen aus der Pflege dazu tendenziell keine ausreichende akademische Vorerfahrung gibt.
- Vor allem die didaktische Entwicklung von den für die in der Berufsausübung gegenüber Theoriewissen oft entscheidenderen Schlüsselkompetenzen wie Sozialkompetenz, Reflexionsvermögen, Problemlösungskompetenz oder personale, psychologische und kommunikative Skills sowie die Vermittlung von praktischen Lerninhalten erweisen sich in Lernmanagementsystemen bei etlichen Themen als problematisch bis ineffektiv. Der richtige Einsatz digitaler Lehrmethoden ist also differenziert nach Zielen, Zielgruppen, Bildungsinhalten, Methoden und Umsetzungsformen zu betrachten. Nachhaltiger Erfolg erwächst erst aus Methodenvielfalt durch spezifisch entwickelte Blended-Learning-Konzepte, die differenzierte multimediale Verbindungen von verschiedenen Lernformen beinhalten.
Für die PDL-Ausbildung gibt es zweifellos theoretische Inhalte, die sich für Online-Seminare eignen, jedoch bei weitem nicht zu 100 Prozent. Die sind nicht nur praktische Aufgaben der Arbeit am Patienten, sondern auch Führung, Kommunikation und Sozialkompetenz erfordern praktische Skills, die am Monitor schlechterdings nicht wirksam zu vermitteln sind. (Literaturempfehlung: „E-Learning im digitalen Zeitalter“; Hrsg: Mario A. Pfannstiel, Peter F.J. Steinhoff; ISBN 978-3-658-36112-9; eBook: 978-3-658-36113-6; darin u.a.: Schottler, Wolfram: „Optimierung von E-Learning in der Vermittlung von Praxisanforderungen und Schlüsselkompetenzen im Gesundheitswesen“).
Eine gute Qualitätsoffensive für die PDL-Qualifikation hätte in der Empfehlung eines differenzierten Blended-Learning-Lehrplans gelegen, der
- Präsenz-Kurse mit physischer Zusammenkunft für die soziale Interaktion mit Lerngruppen für praktische Übungen, Supervision und Planspiele zur Entwicklung von Schlüsselkompetenzen und praktischen Fertigkeiten,
- Online-Kontakt-Seminare mit direktem Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden zur Vermittlung und lebendigen Diskussion von Überblickswissen in theoretischem Lernstoff, wofür je nach Aufgabenstellung ein kleines Lehrer-Schüler-Verhältnis von max.1:10 empfohlen wird,
- asynchrone Lerneinheiten (E-Learning) zur didaktischen Repetition, Vertiefung und Spezialisierung
in ein kompetenzorientiertes Curriculum integriert und dies dann
- in systematischen Verständnisprüfungen auf den tatsächlichen und nachhaltigen Bildungserfolg hin abfragt.
Dann hätte man von einer wirklich für das Berufsfeld und die PDL-Aufgabe sinnvollen Qualifikation sprechen können, die einem Verband wie dem bpa würdig gewesen wäre. Dies wurde hier unüberlegter leichtfertig verpasst.
Hier ist auch klar zu unterscheiden, dass es nicht darum geht, die Anforderungen an Pflegekräfte permanent in akademische Höhen zu schrauben, sondern für hochmotivierte Pflegekräfte die Kompetenzen in Aus-, Fort- und Weiterbildung angemessen wertzuschätzen und dementsprechend mit qualitätvollem und differenziertem Lehrangebot zu entwickeln.
Es ist hier zu hoffen, dass das Bundesgesundheitsministerium diese Initiative konsequent und standhaft ablehnt und sich an eine tatsächliche Förderung der Weiterbildungs-Qualität hält. Eine weitere Erosion der Qualität von Aus-, Fort und Weiterbildung für Pflegeberufe ist für die Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen sicher nachteilig. In Deutschland ist Pflegeweiterbildung vielfach noch inkonsistent und zwischen den Bundesländern auch sehr verschieden, was diese wichtige Aufgabe teilweise noch einem wilden Mix von Billiganbietern ohne ausreichende Qualitätsprüfung überlässt. Tatsächlich gibt es im Interesse an einer nachweisbar besseren Qualifizierung und sicher auch im Patienteninteresse den dringenden Bedarf für eine systematische institutionelle Akkreditierung im Bereich der Weiterbildung.
Deshalb führt die in der Meldung des bpa reklamierte Entlastung der Pflegedienste durch scheinbare Erleichterung der Weiterbildung gerade nicht zu einer Reduktion des Fachkräftemangels, für die vermeintlich niedrigere Eintrittsschwellen geschaffen werden, sondern im Gegenteil zu dessen Verstärkung: Mangelnde Wertschätzung, die sich in einem verkommenen Bildungsverständnis für den Pflegeberuf ausdrückt, ist mehr als die Verdienstmöglichkeiten der Grund, dass so wenig hochmotivierte und entsprechend qualifizierte Fachkräfte aus dem In- und Ausland hier in der Pflegebranche gewonnen und gehalten werden können. Mit einem unambitionierten Bildungsverständnis werden nämlich gute Pflegefachkräfte demotiviert, da man sie keiner angemessenen Weiterbildung wertschätzt und außer in Lippenbekenntnissen die Reste von Berufsethos, Qualitätsverständnis, Verantwortung und seriöser Aufgabenwahrnehmung systematisch abbaut. Der bpa ist kein Sprecher für die gesamte Branche, aber von einem größeren Verband sollte man eigentlich erwarten, dass er sich für eine Verbesserung der Kompetenzen einsetzt; leider passiert gerade das Gegenteil, was die deutsche Pflegebranche als kompetenten Berufsmarkt weiter im internationalen Vergleich zurückwirft.
Mit Kenntnis des für Pflegeberufen seit Jahren labilen und wenig qualitätsorientierten Weiterbildungsmarktes, der entsprechend empfänglich für unseriöse Formalbescheinigungen ist, halten wir diese Initiative des bpa für eine katastrophale Entwicklung mit schwerwiegender Qualitätserosion, die den notwendigen praktischen Kompetenzen der Pflegeberufe in keiner Weise gerecht wird. International üblich wäre eine akademisch basierte Qualifikation. Die bisherigen deutschen Vorgaben der Weiterbildung einer PDL im Kontext des SGB XI sind demzufolge bereits unter den Qualifikationsniveaus im internationalen Raum. Die Forderungen des bpa machen aber eine Annäherung an zu erwartende Qualifikations- und Kompetenzniveaus von PDL in Einrichtungen der Langzeitversorgung unerreichbar.
In der Veröffentlichung kündigt der Verband an, dies auch in weiterer Lobbyarbeit im Austausch mit dem Bundesministerium für Gesundheit und dem GKV-Spitzenverband auch auf Weiterbildungen für die Fachkrankenpflege im Bereich des SGB V übertragen zu wollen, in denen – aus gutem Grund – Präsenzweiterbildungen vorgeschrieben sind. Dies wäre dann der endgültige Offenbarungseid im Gesundheitssystem, da aufgrund der wesentlich höheren Verantwortung von Fachkrankenpflege gegenüber Patienten hier ein deutlich höheres Risiko besteht.
BMG, GKV-Spitzenverband, GB-A und Pflegerat sowie alle an einer Qualifikation der Pflegebranche Interessierten müssen dies ablehnen und idealerweise endlich eine aus dem Pflegeberufegesetz heraus weitergedachte Weiterbildungs- bzw. Berufsordnung für Pflegeberufe projektieren. Keinesfalls darf eine Übertragung der Sonderregelung auf Schulungen im SGB V stattfinden.
Auch eine weitere Deprofessionalisierung von PDL, also Managementpositionen in Einrichtungen der SGB XI-Versorgung, darf nicht weiter verschärft werden.