Der Personalmangel in der Pflege führt zu immer neuen Überlegungen, zur Gewinnung von Personal die Anforderungen und Niveaus weiter herabzusetzen. Dies ist der falsche Weg meint Prof. Dr. Vera Lux, Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) und Mitglied der Interdisziplinären Gesellschaft für Bildung der Pflege IGBP.
Um mehr geringqualifiziertes Personal für den Pflegeberuf anzuziehen, machte sich derLeiter der BPA-Landesgeschäftsstelle Thüringen, Thomas Engemann, machte sich kürzlich für eine Absenkung des Sprachniveaus bei Pflegefachkräften stark: "In Thüringen gibt es für sie die Möglichkeit, mit Zustimmung der Pflegeschule und des Landesbildungsministeriums die Ausbildung zunächst mit B1 zu beginnen. Es ist eine Einzelfallentscheidung. Ein ähnliches Vorgehen würde ich auch für die ausgebildeten Pflegefachkräfte vorschlagen."
Vera Lux steht dem äußerst kritisch gegenüber: Die Ausbildung sei komplex und umfangreich, unzureichende Sprachkompetenz gefährde den Erfolg der Ausbildung. "Wir beobachten, dass Ausbildungsabbrüche und die Durchfallquoten in den letzten Jahren angestiegen sind. Die Ursachen sind vielfältig, aber mangelnde Sprachkompetenz trägt sicher dazu bei. Schon B2 ist oft nicht ausreichend, im Sinne der Bewohner- und Patientensicherheit müsste eigentlich Niveau C1 gefordert werden."
Nachvollziehbar sei, dass Pflegeanbieter bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse mehr Tempo fordern, denn mit vielen Anfragen Pflegebedürftiger entsteht ein enormer Druck. „Doch die fachlichen Anforderungen an die Altenpflege steigen gerade stark. Mit der Krankenhausreform werden Patienten zukünftig noch früher aus dem Krankenhaus entlassen. Natürlich ist eine Einrichtung keine Intensivstation, aber in der Nachversorgung sind die Fachkräfte fachlich weitaus mehr als früher gefordert. Ich habe erst neulich in einem Pflegeheim erlebt, wie gestresst dort viele Pflegekräfte waren, als eine Bewohnerin mit einem Kunstherz aus der Klinik zurückkehrte“. Pflegefachkräfte müssten für solche komplexen Pflegesituationen medizinisch und pflegerisch qualifiziert sein, um Komplikationen zu erkennen, Maßnahmen einleiten und fachlich sicher mit Ärzten kommunizieren zu können.
Sprachniveau B1 bedeutet, die Sprache so zu beherrschen, dass man in alltäglichen Situationen zurechtkommt (Einkauf, Verkehr, Urlaub, etc.). Aber in einer Pflegeeinrichtung ist Fachlichkeit gefragt. Außerdem ist Präzision im Ausdruck etwa in Notfällen sowie schnelles Eingreifen und klare Kommunikation notwendig. „Wenn jemand sprachlich unsicher ist, steigt die Gefahr von Verwechslungen, Medikamentenfehlern und Missverständnissen. Insbesondere in Notfallsituationen, wo der Stresslevel hoch und schnelles Handeln erforderlich ist. Im Alltag sind häufig Sachverhalte mit der Apotheke, der Hausärztin oder dem Physiotherapeuten schnell am Telefon abzuklären. Das fällt ohne eine gewisse Sprachroutine und Kenntnisse der Fachsprache schwer.“ Gegen eine vorzeitige vorläufige Anerkennung auf B1-Niveau spricht auch:
- B1 und B2 sind grundsätzlich wenig aussagekräftige Kategorien. Die Sprachschulen, die die Zertifikate ausgeben, müssen nirgends akkreditiert sein und unterliegen keiner Kontrolle zum Learning Outcome. Hinzu kommt, dass es bei ausländischen Pflegekräften oft sehr lange dauert, bis sie arbeiten können und oft liegt der Sprachkurs schon lange zurück, wodurch das Erlernte zum Teil wieder vergessen ist.
- Mit Einführung der neuen Personalbemessung (PeBeM) soll die Fachkraftquote abgesenkt und die Hilfskraftquote angehoben werden. Daraus folgt zwangsläufig (und politisch gewollt), dass weniger Pflegefachpersonen und mehr Geringqualifizierte in den Einrichtungen arbeiten werden. Die Verbleibenden müssen die deutsche Sprache sowie die Fachsprache sicher beherrschen.
- Gelegentlich heißt es, die Pflegefachkräfte könnten sich – so wie die Ärzte – in internationalen Teams untereinander auf Englisch verständigen. Dies ist jedoch realitätsfremd, denn viele Pflegende in Deutschland beherrschen Englisch nicht auf einem angemessenen Level.
Aus all diesen Gründen unterstützt Vera Lux die Position der Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung (GQMG), die in einem Positionspapier 2020 an die Politik appellierts, die Berufsanerkennung als Pflegefachkräften künftig sogar vom Sprachniveau C1 abhängig zu machen.
Vorschläge, wie die des BPA, die allein auf die Quantitäten im Personalmangel schauen und meinen, mit weiteren Niveauabsenkungen diese ausgleichen zu können, wirken fatal für die Pflegebranche. Die weitere Deprofessionalisierung im Berufsbild der Pflege wird den Niedergang des Berufsfeldes, seiner Leistung und Wertschätzung sogar beschleunigen: Die stetige Herabsetzung von Eignungen, Kompetenzen und Qualfikationsanforderungen wird nicht mehr geringqualifiziertes Personal anziehen, um personelle Lücken zu füllen, sondern ganz im Gegenteil vom Berufsbild abschrecken und vorallem Fachkräfte und Leistungsträger die Fluktuation erhöhen. "Daher brauchen wir bessere praxisnahe Qualifikation und qualitativ gesicherte Aus- und Weiterbildung, anstatt kurzsichtiger berufspolitischer Vorstöße, kontraproduktiv für das das Berufsbild wirken."