Ob eine umfassendere Förderung des Pflegestudiums einen signifikanten Beitrag zur Verbesserung der Berufsperspektiven und Arbeitsbedingungen in Pflegeberufen leisten kann, ist eine immer wieder aufgestellte Behauptung und Frage. Die Bundesregierung will nun ein Gesetz zur Stärkung des Pflegestudiums auf den Weg bringen. Bildung ist grundsätzlich zu befürworten, ob dadurch aber Berufsbedingungen für Pflegeberufe verbessert werden können, ist eher fraglich. Die Diskussionen laufen und es gibt substanzielle Kritik, ob der Gesetzentwurf einen sinnvollen Entwicklungsbeitrag leisten kann.

Mantraartig wird seit Jahren die mangelnde Wertschätzung für Pflegeberufe beklagt hat und dass diese nicht länger Anhängsel der Medizin sein sollen. Der Fachkräftemangel verstärkt das Problem, die Berufbilder von Pflegenden erheblich zu verbessern. Das sind natürlich altbekannte Forderungen, die ohne konkrete Verbesserungsvorschläge allerdings Lippenbekenntnisse ohne Substanz bleiben.
Mal versucht man es mit Gutzureden und Applaus, mal mit Arbeitsrecht und optimierter Teamorganisation, mal mit mehr Geld und Tarifverträgen und nun mit Akademisierung der Ausbildung. Keiner der Vorschläge ändert aber am für viele Pflegekräfte demotivierenden Grundproblem etwas, dass sie für die Berufspraxis weiter keine festgelegten verantwortungsvollen Aufgabenzuordnungen oder eine Berufsordnung mit differenzierten Kompetenzprofilen haben, welche zwischen Leistungen nach SGB XI und Fachpflege im Rahmen des SGB V unterscheiden. Dementsprechend gibt es für die Arbeit im multiprofessionellen Setting von Krankenhaus, Heim oder Pflegedienst noch immer keine ausbildungsgerechten verantwortlichen Aufgabenzuordnungen für Pflegekräfte, dem Qualifikationsniveau der Pflegeausbildung und ihren Weiterbildungen entsprechen. Die zugestandenen Kompetenzen für Pflegekräfte sind auch im internationalen Vergleich weit abgeschlagen.

Der Bundestag hat im September 2023 nun über einen Gesetzentwurf zur Stärkung des Pflegestudiums debattiert und ihn in die Ausschüsse verwiesen, weil doch in vielen Fragen noch erheblicher Nachbesserungsbedarf bei dem Gesetz gesehen wird. Mit einer Verbreiterung der Akademisierung wird nicht zugleich die praktische Berufsqualifikation verbessert. Ein Bezug zur Verbesserung der Berufsbedingungen schein damit nicht gegeben zu sein und somit ist mit dem Gesetzentwurf auch kein Anreiz für junge Menschen erkennbar, überhaupt ein Pflegestudium zu absolvieren.

Auch wenn mit dem hier angestrebten Dualen Studium ein gutgemeinter Ansatz verfolgt wird, Theorie und Berufspraxis zu vereinen, so laufen die Bemühungen doch am praktischen Bedarf vorbei. Warum sollen junge Menschen ein Pflegestudium absolvieren, wenn dessen Absolventen nicht mehr Verantwortung haben dürfen und besser verdienen, als examinierte Pflegekräfte aus der Ausbildung? Und in der Praxis noch zugespitzter: warum sollte man überhaupt noch eine Ausbildung oder gar ein Studium für Pflegeberufe anstreben, wenn man in deutschen Krankenhäusern und Heimen dann nichts im Sinne von Ausbildung oder Studium selbständig und verantwortlich machen darf? An der fortschreitenden Demotivation von Pflegekräften aus mangelndem Selbstwirksamkeitserleben wird auch die jüngste Krankenhausreform oder ein "Pflegestudiumstärkungsgesetz" leider nichts ändern! 

Die Forderungen nach höherer Pflegebildung sind hingegen alt: seit 30 Jahren wird über die Akademisierung der Pflege diskutiert, aber es gibt kaum ein Fortkommen - im Gegenteil: einerseits führt die bisherige Akademisierung für Pflegeberufe aus der Berufspraxis heraus und andererseits befindet sich die Berufspraxis in einer sich beschleunigenden Deprofessionalisierungsspirale. Dies wird mit dem neuen Gesetz nicht gelöst, sondern es werden eher bürokratische Hindernisse für junge Berufsinteressenten aufgebaut. Zudem wird die Diskrepanz zwischen theoretischer Qualifikation und praktischer Kompetenzzuschreibung nur vergrößert.

Hochschulabsolventen müssten im Vergleich zu fachschulisch ausgebildeten Pflegekräften sichtbar erweiterte Tätigkeiten in der Pflegepraxis übernehmen können und dazu müssten im Hochschulstudium verbindlich heilkundliche Tätigkeiten aus der grundständischen Ausbildung verankert werden. Ohne dies wäre kein Mehrwert für Studienabsolventen ersichtlich und kein Beitrag zur Verbesserung der Versorgung erkennbar. Dazu müssten die Studienangebote auch in ihrer Zielsetzung klarer differenziert werden, ob sie Fachkrankenpflege, vielleicht mit Intensivpflege-Kompetenzen ausbilden wollen, oder qualifizierte Altenpflege: unprofessionell wird das in Medien und Politik nämlich meist vermischt.

Praktische Lösungsvorschläge erfordern also zwingend zunächst

  1. eine systematische Erneuerung der Pflege-Berufsbilder, differenziert nach Aufgaben und Kompetenzen für SGB V (Fachkrankenpflege) oder SGB XI (Altenpflege),
  2. eine Berufsordnung für die systematisch gestufte Aus- und Weiterbildung von Pflegeberufen in den verschiedenen Einsatzgebieten,
  3. einer verbindlichen Definition der verantwortlichen multiprofessionellen Versorgung und Leistungsvergütung.

Alles andere ist wieder nur Flickwerk und zu kurz gesprungen. Deshalb besteht auch mit dieser Gesetzesinitiative die niederschmetternde Aussicht, dass sie nicht auf dem Boden der Tatsachen ansetzt: wieder betreibt man nur politisches Schattenboxen für immer neue Scheinqualifikationen und es werden dabei hohe Geldbeträge umverteilt, aber die eigentlichen Ziele bleiben unbearbeitet, weil offensichtlich (wieder) die zentralen Grundprobleme vergessen oder ausblendet werden. 

Inzwischen hat auch der Gesundheitsausschuss des Bundestages Verbände zum "Pflegestudiumstärkungsgesetz" angehört: Kritik wird hier zusätzlich an der Finanzierung im Rahmen der Ausbildungsvergütung für den praktischen Teil geäußert. Auch Regierungsvertreter haben im Gesundheitsausschuss noch 20 Änderungsanträge zum Entwurf eingebracht. 

Die Frage der Finanzierung ist am derzeitigen Gesetzentwurf deshalb besonders kritisch zu sehen, weil für den praktischen Teil des dual organisierten Pflegestudiums die Ausbildungsvergütung aus einem Ausgleichsfonds finanziert werden soll, in den Bund, Länder, Kranken- und Pflegeversicherung und mittelbar auch die Pflegebedürftigen einzahlen sollen. Damit werden die jährlichen Kosten für die hochschulische Ausbildung an die gesetzlichen Krankenkassen und letztlich deren Mitglieder und die Pflegebedürftigen weitergereicht.

Das ist ein finanzpoltischer Irrweg, der das Pflegestudium nicht in die sonstige akademische Landschaft einordnet, sondern zur Aufgabe der Sozialversicherung und GKV macht, wo es auch nach den Versicherungsbedingungen der Kranken- und Pflegeversicherung nicht hingehört. Durch das Gesetz würden zudem einseitig nur die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen (also auch nicht PKV oder Beamte) und letztlich die gesetzlich versicherten Arbeitnehmer und Pflegebedürftigen mit weiteren Kosten belastet. Auch das Medizinstudium ist Aufgabe der Universitäten und ihrer Träger, keinesfalls aber die der Krankenversicherung.

Noch im Koalitionsvertrag hatten die Ampelparteien ganz das Gegenteil in Aussicht gestellt, nämlich die Pflegebedürftigen von Ausbildungskosten zu befreien. "Entlastung versprochen. Belastung beschlossen", ist das Fazit von Sozialverbänden, die in der Ausschuss-Anhörung sofort einen weiteren Anstieg der Kosten für Betroffene voraussagten. Wie in anderen Bildungsinitiativen kann für die Stärkung von Angeboten zum Pflegestudium selbstverständlich nur eine steuerfinanzierte Entwicklung in Frage kommen, die die Bürgerinnen und Bürger entlastet und die ohnehin schon hohen GKV-Beiträge bzw. die Eigenanteile in der Pflege nicht weiter in die Höhe treibt.

Die Schaffung von Infrastruktur und Möglichkeiten zur Bildung, auch der grundständisch-akademischen Ausbildung, bleiben eine hoheitliche Aufgabe des Staates, deren Finanzierungsverantwortung bei den Bundesländern beziehungsweise beim Bund liegt, für die eine Kostenverlagerung auf die Kranken- und Pflegeversicherung kategorisch abzulehnen ist. Letzteres erst recht, wenn die grundsätzliche Zielsetzung des Gesetzes lediglich eine Ergänzung zum bereits im Pflegeberufegesetz formulierten grundständigen Pflegestudium ist, aber keine substanzielle Verbesserung der Berufsperspektiven und Berufspraxis für die Pflege enthält.

Fazit:

  1. Grundsätzlich ist eine Weiterentwicklung der Pflegebildung mit einer Perspektive der Akademisierung folgerichtig, um die Professionalisierung des Berufsstandes im multiprofessionellen Aufgabenfeld der Kranken- und Bedürftigenbehandlung sowie nicht zuletzt im internationalen Vergleich zu sichern.
  2. Ebenso grundsätzlich sind aber die von Pflegefachkräften kompetent durchzuführenden Aufgaben sowohl für jede Form der theoretischen Ausbildung als auch für die praktische Durchführung in Krankenhäusern, Heimen und Pflegediensten abzugrenzen und zu differenzieren
    a. nach Tätigkeitsbereichen wie Fachkrankenpflege, Altenpflege, Behindertenpflege, 
    b. nach Kompetenzfeldern in Zusammenarbeit mit Ärzten und anderen Gesundheitsberufen, die auf Weiterbildungsgrad, Erfahrung, Spezialisierung z.B. in der Grundpflege, Heilbehandlung, Krankenbeobachtung, Therapieunterstützung, Patientenaktivierung und psychosozialen Begleitung oder Intensivpflege mit verschiedenen Schwerpunkten basieren.
  3. Ein Pflegestudium, das nicht nur wissenschaftlichen Selbstzweck hat, sondern berufspraktischen Bezug besitzt, ergibt nur dann Sinn, wenn auch die Ausführung der  definierten Kompetenzen (Pkt. 2) tatsächlich in der Berufspraxis rechtlich ermöglicht wird, Pflegefachkräfte also gemäß ihrer Vorbildung und berufsschulischen oder akademischen Befähigung klar zugeschriebene Verantwortungsbereiche und Kompetenzfelder im multiprofessionellen Setting der Berufspraxis erhalten. Dies ist derzeit im generalisierten Arztvorberhalt und auch nach der Heilkundeübertragungsrichtlinie aus dem jahr 2011 für die Pflegeberufe nicht möglich.
  4. Die Finanzierung eines solchen Studienangebots kann keinesfalls zu Lasten der GKV, ihrer Beitragszahler oder auf Kosten der zu Pflegenden gehen, sondern ist wie Hochschulausbildung generell eine Aufgabe von Bund und Ländern bzw. kann von privaten Hochschulträgern durchgeführt werden.