Kommentar von Annemarie Fajardo, M.Sc., zur Kompetenzerweiterung von Pflegefachpersonen in der HKP-RL.

Es wird schon sehr lange darüber diskutiert, ob und in welchem Umfang Pflegefachpersonen in der häuslichen Pflege mehr Befugnisse erhalten sollen. Mit dem Gesundheitsversorgungsweiterentwicklunsgesetz (GVWG) kam der konkrete Auftrag der Bundesregierung, die Kompetenzen für Pflegefachpersonen zu erweitern. Gezielt sollten Häufigkeit und Dauer von einzelnen verordnungsfähigen Maßnahmen im Zuge der Häuslichen Krankenpflege-Richtlinie (HKP-RL) „eigenständig durch die Pflegefachperson“ bestimmt werden können, etwa bei der Katheter- oder der Wundversorgung, sofern die ärztliche Verordnung dazu keine konkreten Vorgaben macht.

Mehr Befugnisse für Pflegefachpersonen

Der G-BA-Beschluss vom 21.7.2022 gemäß §5a Abs.1 HKP-RL regelt ab sofort, dass Pflegefachpersonen innerhalb des vertragsärztlich festgestellten Verordnungsrahmens selbst über die „erforderliche Häufigkeit und Dauer“ bestimmen dürfen. In den weiteren Absätzen wird zudem deutlich, dass es zwar Empfehlungen zu Häufigkeit und Dauer aus dem Leistungsverzeichnis gibt und diese zu berücksichtigen sind, jedoch darf die Pflegefachperson die nähere Ausgestaltung von Häufigkeit und Dauer eigenständig vornehmen. Grundsätzlich kann von diesen Empfehlungen abgewichen werden, wenn die Pflegefachperson sowie die verordnende Person dies für erforderlich halten.

Einschränkungen und Kompetenzerweiterung

Was auf den ersten Blick zunächst nach einer Kompetenzerweiterung aussieht, wird auf den zweiten Blick schon wieder konterkariert. Die eigenständige Entscheidung zu Häufigkeit und Dauer einer verordnungsfähigen Maßnahme durch eine Pflegefachperson ist etwa in regelmäßigen Abständen mit dem/der verordnenden Arzt/Ärztin abzustimmen. Außerdem ist gemäß § 5a Abs.4 HKP-RL zwischen der vorausgegangenen Verordnung und der Folgeverordnung spätestens nach drei Monaten ein „persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt" herzustellen. Unter Umständen organisiert dann die Pflegefachperson diesen Kontakt, da sie aufgrund ihrer Tätigkeit in der häuslichen Kran kenpflege ohnehin zum Patienten/zur Patientin in Verbindung steht. In §5a Abs.5 HKP-RL wird zudem darauf hingewiesen, dass bei wichtigen medizinischen Gründen der/die verordnende Arzt/Ärztin die Häufigkeit und Dauer selbst auf der Verordnung anzugeben hat. Damit wird die Fachkompetenz der Pflegefachperson im Prinzip infrage gestellt bzw. wird den verordnenden Ärzten/Ärztinnen das Recht eingeräumt, sich hier weiterhin in die vermeintlich neuen Befugnisse der Pflegefachpersonen einzumischen.

Abhängigkeit bleibt bestehen

Der neue G-BA-Beschluss ändert nichts an der grundsätzlichen Ausrichtung der HKP-RL, die die ärztliche Verordnung der häuslichen Krankenpflege regelt und damit auch deren Dauer und deren Genehmigung durch die Krankenkassen sowie die Zusammenarbeit mit den verordnenden Ärzten und Ärztinnen. Die Verantwortung und damit auch das Recht der Verordnung obliegt weiterhin der Ärzteschaft und die entsprechen de Genehmigung den Krankenkassen. Trotz des neuen Pflegeberufegesetzes (PflBG), das nach §4 PflBG erstmals Vorbehaltsaufgaben der beruflich Pflegenden regelt, erscheint die bereits seit Jahrzehnten verbandspolitisch angestrebte Handlungsautonomie der beruflich Pflegenden in weiteren Gesetzen und Richtlinien nicht gewollt zu sein. Anzustreben wäre im Zuge des PflBG eigentlich das Arbeiten auf Augenhöhe, das sich bereits mit einer eigenen Verordnungskompetenz für Pflegefachpersonen herbeiführen ließe. Veranlasste Leistungen im Sinne der HKP-RL sollten sich nicht aus medizinischen Gründen ergeben, sondern vielmehr aus der pflegefachlichen Bedarfssituation des Patienten/der Patientin. Anzustreben wäre aus Sicht der Pflegefachpersonen außerdem nicht einfach nur die bloße Kompensation einer fehlenden Person im Haushalt der Versicherten gemäß §6 Abs.3 HKP-RL, sondern eine echte Befugnis ohne eine übergeordnete Ärzteschaft. Aus meiner Sicht sind Pflegefachpersonen deutlich qualifizierter und kompetenter, als man es ihnen mit der neuen HKP-RL tatsächlich zumutet.

IGBP-Mitglied Annemarie Fajardo, M. Sc., ist Altenpflegerin, Diplom-Pflegewirtin (FH), Wirtschaftspsychologin und Vize-Präsidentin des Deutschen Pflegerates. a.fajardo@deutscher-pflegerat.de